Unerlaubtes Mitfilmen bei der Theatervorstellung
Eine Situation, die wohl jedem Theaterbesucher bekannt ist: Immer wieder gibt es einige wenige Personen im Publikum, die versuchen, einen Ausschnitt aus der laufenden Vorstellung mittels Handyvideos mitzufilmen. Dass dies nicht erlaubt ist, ist jedem Zuschauer regemmäßig bekannt, denn im Vorfeld wird zumeist mittels Durchsage darauf hingewiesen, dass das Mitfilmen “aus urheberrechtlichen Gründen untersagt” sei.
So oder so ähnlich geschah es auch in einem österreichischen Theater bei der Premierenvorstellung eines Stückes, das schon zuvor aufgrund der Inszenierung und der sexuellen Freizügigkeit auf der Bühne für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Ein Zuschauer filmte das Geschehen auf der Bühne und auf irgendeine Art und Weise gelangte der Live-Mitschnitt an einen Medienkonzern, der sowohl Berichterstattung über ein Online-Portal als auch über periodische Druckwerke betreibt. Auf beiden Medien dieses Konzern wurden sodann Ausschnitte aus dem Mitschnitt veröffentlicht. Zudem wurden die Mitschnitte auch an Dritte weitergegeben.
Das Theater klagte die beiden Medienunternehmen des Konzerns ua. auf Unterlassung und auf Auskunft über die Quellen und die Empfänger der Live-Mitschnitte und Aufnahmen. Während man sich über das Unterlassungsbegehren schon in der ersten Instanz vergleichweise einigen konnte, gab das Erstgericht dem Auskunftsbegehren des Theaters statt. Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil insofern ab, als es dem Auskunftsbegehren nur hinsichtlich der Quellen, nicht aber betreffend die Empfänger des Video-Materials stattgab. Schließlich gelangte der Fall also zum Obersten Gerichtshof (4 Ob 141/21w vom 23.02.2022). Da die anderen Punkte bereits in erster Instanz verglichen worden waren, blieb durch den OGH nur noch das Auskunftsbegehren zu beurteilen.
Urheberrechtliche Gründe
Die eingangs erwähnten “urheberrechtlichen Gründe” der meisten Durchsagen vor Vorstellungsbeginn, die ein Mitfilmen untersagen, liegen unter anderem darin, dass durch das Mitfilmen der Vorstellung zweifelsohne zumindest eine Urheberrechtsverletzung begangen wird, nämlich eine Verletzung des sogenannten “Rechts am eigenen Bild” (§ 78 UrhG) der Darsteller. Diese Bestimmung besagt, dass “Bildnisse” von Personen nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen, “wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten […] verletzt würden”. Dies liegt gerade im vorliegenden Fall, in dem es auf der Bühne Szenen mit sexuell freizügigen Handlungen gab, eindeutig vor.
Was das Auskunftsrecht betrifft, so fixiert die EU-Rechtsdurchsetzungs-RL 2004/48/EG in Art 8 ein solches Recht und stellt sicher, dass Auskünfte über den Ursprung und die Vertriebswege von Waren oder Dienstleistungen, die ein geistiges Eigentumsrecht (wie Urheberrecht oder Patentrecht) verletzen, erteilt warden müssen und zwar vom Verletzer oder jeder anderen Person.
In Umsetzung dieser Richtlinie regelt § 87b Abs 2 UrhG: “Wer in einem auf dieses Gesetz gegründeten Ausschließungsrecht verletzt worden ist, kann Auskunft über den Ursprung und die Vertriebswege der rechtsverletzenden Waren und Dienstleistungen verlangen, sofern dies nicht unverhältnismäßig im Vergleich zur Schwere der Verletzung wäre und nicht gegen gesetzliche Verschwiegenheitspflichten verstoßen würde.” Das Urheberrechtsgesetz selbst ordnet in einem solchen Fall also eine Interessensabwägung an – und zwar einerseits zwischen den Rechten, die aus dem UrhG zustehen, einschließlich dem Auskunftsrecht, und andererseits beispielsweise dem Geheimhaltungsinteresse der Medien.
Interessensabwägung
Auf der einen Seite stand im konkreten Fall also das Recht der Akteure und das Recht des Theaters, seine Schauspielerinnen und Schauspieler zu schützen, was der OGH auch durchaus zugestand: Eine “ohne Zustimmung der auf der Bühne Agierenden angefertigte heimliche Aufzeichnung unter anderem von auf der Bühne gezeigten sexuellen Handlungen sowie deren Wiedergabe und Abbildung” stellt nach dem Gerichtshof einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht der Darsteller nach § 78 UrhG dar; dabei verwies der OGH auf seine Judikatur vor allem zur Veröffentlichung von Nacktbildern (4Ob211/03p; 4Ob141/21w; 6Ob14/16a). Außerdem sah der OGH auch ein Interesse der Klägerin, “diese an den von ihr beschäftigten Schauspielern begangene Rechtsverletzung zu unterbinden”.
Auf der anderen Seite steht das sogenannte “Redaktionsgeheimnis”, das sich aus § 31 Mediengesetz ergibt. Dort ist ein Zeugnisverweigerungsrecht für Redaktionsmitglieder in Verfahren vor Gerichten festgelegt. Eine Berufung auf das Redaktionsgeheimnis ist nach Ansicht des OGH aber auch außerhalb des eigentlichen Anwendungsbereichs des § 31 Abs 1 MedienG möglich, was auch mit dem Umgehungsverbot des § 31 Abs 2 MedienG zusammen hängt, der es verbietet, dass die Herausgabe von Schriftstücken, Druckwerken, Bild- oder Tonträgern oder Datenträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen mit solchem Inhalt aufgetragen wird. Dabei ist es laut OGH wichtig, dass es zumindest irgendeiner Tätigkeit eines Medienmitarbeiters bedürfe, die als journalistische Kontrolle und Bearbeitung verstanden werden kann, “damit der Schutz des § 31 MedienG – und damit der Schutz der wichtigen Kontroll- und Aufklärungsfunktion der Medien als ‘public watchdog’ und ihrer Fähigkeit, genaue und zuverlässige Informationen zu liefern”, greifen könne.
Im Zuge seiner Interessensabwägung zwischen diesen beiden Seiten zog der OGH auch die Judikatur des EGMR zu Art 10 EMRK (“Recht auf freie Meinungsäußerung”) heran, wonach der Schutz journalistischer Quellen eine der Grundvoraussetzungen der Pressefreiheit darstellt. Demzufolge kann eine gerichtliche Anordnung der Offenlegung einer Quelle für die Ausübung dieser Freiheit dann mit Art 10 MRK vereinbar sein kann, wenn sie durch ein dringendes Erfordernis des öffentlichen Interesses gerechtfertigt ist (vgl. RS0126501).
Conclusio
Wesentlich, um sich auf das Redaktionsgeheimnis berufen zu können, ist also, dass der urheberrechtswidrig erzeugte Mitschnitt journalistisch verwendet worden war. Im konkreten Fall bejahte der OGH, dass die beklagten Medien “über das Theaterstück der Klägerin journalistisch berichteten und dies mit den illegal angefertigten Videoausschnitten und daraus hergestellten Bearbeitungen und Fotoausschnitten illustrierten”. Der journalistische Quellenschutz werde – so der OGH wörtlich - auch nicht dadurch relativiert, “wenn die konkrete Berichterstattung reißerisch und auf bloße Neugier und Sensationslust eines Teils des Publikums spekulierend gestaltet ist”.
Die vom OGH getätigte Interessensabwägung schlägt somit letztlich – anders als bei den Vorinstanzen – zugunsten der beklagten Medienunternehmen aus, weil “das den Beklagten zugute kommende, in der Verfassung wurzelnde öffentliche Interesse an der Geheimhaltung von journalistischen Quellen im vorliegenden Einzelfall das Auskunftsinteresse der Klägerin überwiegt”. Von Interesse ist dieses Urteil aufgrund der detailliert vorgenommenen Interessensabwägung aber definitiv über den konkreten Fall hinaus.