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Legal News
October 30, 2024

1 dividiert durch 2 ≠ ½ ! Die Schenkung einer Liegenschaftshälfte vom Erblasser entspricht nicht der Hälfte des Gesamtwerts der Liegenschaft

Ende des letzten Jahres haben wir über die Möglichkeiten von Erben berichtet, letztendlich mehr zu erhalten, als in der Verlassenschaft vorhanden ist (Ausgleich für unentgeltliche Zuwendungen des Verstorbenen zu Lebzeiten an andere pflichtteilsberechtigte Personen aus dem Titel der Pflichtteilsergänzung). Der OGH hat kürzlich in einer Entscheidung wichtige Parameter für die Bewertung von Schenkungen zu Lebzeiten für den Pflichtteils(ergänzungs)anspruch festgelegt (OGH vom 25.7.2024 zu 2 Ob 43/24y).

Rechtliche Grundlagen

Schenkungen bzw. Zuwendungen, die eine pflichtteilsberechtigte Person oder ein Dritter zu Lebzeiten oder auf den Todesfall vom Verstorbenen erhält, sind grundsätzlich der Verlassenschaft hinzuzurechnen und auf einen allfälligen Geldpflichtteil des Geschenknehmers (als pflichtteilsberechtigte Person) anzurechnen (§ 781 ABGB). Im Unterschied zu Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen, unterliegen Schenkungen an einen Dritten (nicht Pflichtteilsberechtigten) nur innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Tod des Geschenkgebers der Hinzurechnung. Die Hinzurechnung der Schenkungen erhöht den Wert der Verlassenschaft und dementsprechend auch die Pflichtteile. Ein Pflichtteilsberechtigter muss sich zugleich aber auch die an ihn gemachten Schenkungen anrechnen lassen.

Sachverhalt

In der eingangs genannten OGH-Entscheidung stellte sich die Ausgangslage wie folgt dar:

Der später verstorbene Großvater und seine Ehefrau schenkten mit einem Übergabsvertrag noch zu Lebzeiten ihre beiden Hälfteanteile an einer Liegenschaft ihrem Sohn, sodass dieser Alleineigentümer der gesamten Liegenschaft wurde. Der Alleineigentümer und Sohn des Großvaters verstarb in weiterer Folge. Dessen beiden Söhne (die beiden Kläger) erbten wiederum die Liegenschaft von ihm.

Die Beklagte war aufgrund einer letztwilligen Verfügung die Alleinerbin nach dem in weiterer Folge ebenfalls verstorbenen Großvater der Kläger. Die Kläger begehrten unter Berufung auf ihr Pflichtteilsrecht von jeweils einem Viertel die Zahlung ihres gesetzlich zustehenden Pflichtteils von der Beklagten und Alleinerbin. Die Beklagte wandte ein, dass der Pflichtteilsanspruch der Kläger bereits durch die (von deren Vater geerbte) Liegenschaft des verstorbenen Großvaters gedeckt wäre.

Der Wert der Liegenschaft betrug im Zeitpunkt der Übergabe des Großvaters an den Sohn und Vater der Kläger EUR 746.000; der Wert der Hälfteanteile – unter Berücksichtigung eines Abschlags für Miteigentum (aufgrund der geringeren Verkehrsfähigkeit eines Liegenschaftsanteils im Vergleich zu Alleineigentum wird in der Regel ein Abschlag von 10 bis 15 Prozent vom Gesamtwert vorgenommen) – allerdings nur jeweils EUR 336.000,--.

Bewertung einer Vorschenkung

Der OGH hatte im gegenständlichen Verfahren die Frage zu klären, ob der Liegenschaftsanteil, der dem Rechtsvorgänger der Kläger übergeben wurde, unter Berücksichtigung eines Abschlags für das Miteigentum zu bewerten ist. Die Beklagte begehrte schon in den vorigen Instanzen, dass im gegenständlichen Fall kein Abschlag wegen Miteigentums vorzunehmen sei, weil der Rechtsvorgänger der beiden Kläger mit dem Übergabsvertrag schließlich Alleineigentümer der Liegenschaft war. Damit würde sich der Pflichtteil der Kläger reduzieren und die Beklagte müsste bloß einen geringeren Betrag an die Kläger leisten.

Dies beurteilt der OGH anders; der Abschlag für Miteigentum – wie sie die vorigen Instanzen vorgenommen haben – war richtig. Nach dem Höchstgericht ist für die Bewertung des Liegenschaftsanteils nämlich entscheidend, dass der Rechtsvorgänger der Kläger den zweiten Liegenschaftsanteil von der Ehefrau des Verstorbenen (hier: Ehefrau des Großvaters) erhalten hatte. Es wäre nicht einzusehen, dass die Zuwendung eines Dritten an den Geschenknehmer zu einer höheren Bewertung der Zuwendung des Verstorbenen führte. Der OGH stützt sich in seiner Begründung auf eine Entscheidung aus dem Jahr 2016 (2 Ob 108/16w), wonach im Rahmen der Schenkungsanrechnung ein Abschlag für Miteigentum auch dann vorzunehmen ist, wenn der Verstorbene seinen Liegenschaftsanteil dem anderen Hälfteeigentümer übertragen hatte (und dieser im Ergebnis Alleineigentümer wird).

Aufgrund dieser Entscheidung mussten sich die beiden pflichtteilsberechtigten Kläger sohin nur den geringeren Wert des Liegenschaftsanteils (EUR 336.000,-- statt EUR 373.000,--) anrechnen lassen, weshalb die Erbin den Enkelkindern letztendlich einen höheren Pflichtteil zahlen musste.

Gute Beratung wird empfohlen

Gerade bei Liegenschaften haben bereits geringfügige Abweichungen bei der Bewertung deutliche Auswirkungen auf etwaige Zahlungsverpflichtungen. Anwaltliche Beratung zahlt sich in solchen Fällen aus.